Mit der Unerbittlichkeit eines Automaten springt seit Jahrzehnten die Diskussion über die wesentlichen Charakteristika des Islam und von Mohamed zwischen zwei Positionen hin und her. Für die einen ist der Islam eine Religion des Friedens, der freiwilligen Hingabe an Gott und der Freiheit. Für die anderen ist er eine archaische Kriegsideologie, die vor rund 1400 Jahre in kleinen arabischen Wüstenstädten entwickelt wurde und sich bestens zur Rechtfertigung von Stammeskriegen und Eroberungen eignete. Für beide Auffassungen lassen sich im Koran und auch in den Hadithen (also den Überlieferungen von Aussprüchen und Handlungen von Mohamed) überzeugende Belege finden. Diese Zitate werfen sich die Vertreter beider Strömungen ständig an den Kopf, ohne dass daraus eine Verständigung erwachsen könnte. Angesichts der weltweiten Ausbreitung des konservativen Islam und der Gräueltaten islamistischer Terrormilizen hat diese Diskussion enorme Bedeutung erlangt. Dies gilt umso mehr, als große Mengen illegaler Migranten nach Europa geströmt sind. Genauso wie viele der bereits in Deutschland lebenden Menschen muslimischen Glaubens bilden sie Parallelgesellschaften, deren Kultur auf der Unfehlbarkeit der göttlichen Offenbarungen basiert, die Mohamed empfangen haben soll. Daraus resultieren nahezu unlösbare Probleme.
Zitat 1
Mohamed als historische Person, seine Taten und Worte sind eine Projektionsfläche, die nach Belieben gefüllt werden kann. Jeder kann daraus machen, was er will, um darin eine Bestätigung und Legitimation dessen zu finden, wonach er trachtet und wer er ist.
Viele friedliche Muslime berufen sich auf Mohamed und sehen in ihm nur den gerechten, weisen und barmherzigen Propheten, der sogar in seiner Härte gerecht und barmherzig war. Sie orientieren sich an Episoden aus dem Leben Mohameds und an Koranpassagen aus der mekkanischen Phase, die das friedliche Zusammenleben mit Andersgläubigen betonen. Auch radikale Kräfte und Terroristen berufen sich auf Mohamed - sie zitieren spätere Passagen des Koran, die die Ungläubigen verteufeln und den Krieg verherrlichen. Sie sehen in Mohamed einen kompromisslosen Kämpfer für die Sache Gottes, der mit aller Brutalität gegen Ungläubige vorgegangen war. Islamkritikern wiederum fällt es schwer, die weise und barmherzige Seite von Mohamed zu erkennen und seine Verdienste um die Einheit Arabiens und das Ende des Polytheismus in der Region.
Es kommt also ganz darauf an, wonach man sucht, wenn man in Mohameds Biographie und im Koran oder den Hadithen stöbert. Um im Bild zu bleiben: Man kann die Karte des gütigen Mohamed ziehen und ausspielen, aber auch die des Monsters.
Eine so ambivalente Persönlichkeit, wie es Mohamed offenbar nun einmal war, kann man schlecht mit Kategorien wie Gut und Böse, schwarz oder weiß erfassen. Das liegt auch daran, dass wir keine eindeutigen historischen Belege haben für das, was er tatsächlich getan oder gesagt hat. …
Zitat 2
Seine Anhänger kontrollierte der Prophet auf Schritt und Tritt. Er veränderte die gewohnten Alltagsstrukturen, griff in jedes Detail ein, versuchte alles zu beherrschen und zu regeln, selbst ihren Schlafrhythmus. Fünfmal am Tag versammelte er seine Anhänger zum Beten, um sich ihrer Treue zu versichern. Man könnte sogar sagen, er ließ sie antreten wie zu einer Militärparade. Er warnte sie vor dem Teufel, vor den Qualen der Hölle und entwarf Endzeitszenarien. Sünder wurden ausgepeitscht, Lästerer und Apostaten getötet. Was eine Sünde war, bestimmte er.
Die letzten Suren des Koran legten mit ihrer Kriegsverherrlichung und Verdammung der Ungläubigen die Saat der Intoleranz, die bis heute fatale Auswirkungen hat. Da der Koran als das ewige Wort Gottes gilt, das für alle Zeiten Gültigkeit hat, sehen vor allem Islamisten diese Kriegspassagen als Legitimation für ihren weltweiten Dschihad. Der Unterschied zwischen Mohamed in Mekka und Mohamed in Medina ähnelt dem zwischen dem jungen marxistischen Theoretiker Lenin und dem sowjetischen Staatsoberhaupt Lenin.
Nach der Machtergreifung gerieten vormals hochgehaltene Prinzipien immer mehr in den Hintergrund, die Logik der Macht und die Angst vor dem Verrat bestimmten fast alles. Kriege verlangten nach neuen Kriegen, der Teufelskreis aus Terror, Unterdrückung und Gewalt war nicht mehr zu stoppen. Bei Mohamed war es eine Allianz mit seinen früheren Feinden des Stammes der Quraisch aus Mekka, die diesen nächsten Wendepunkt in seinem Leben einläutete und den Auftakt für eine beispiellose Eroberungswelle bildete, die die Welt bis heute prägt. Erst im Schatten des Schwertes erlebte Mohamed den Durchbruch und erfuhr die Anerkennung, die er immer gesucht hatte. Doch die gesamte islamische Geschichte wurde zur Geisel dieses Erfolges.
Zitat aus:
Mohamed, Ein Abrechnung, Hamed Abdel-Samad, Droemer-Verlag 2015, Seite 10 und 15
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