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Hamed Abdel-Samad und FAGULON

Die Hadithe: Neue Gefäße des Glaubens



Angesichts der oft unklaren und poetischen Suren aus der Zeit des Aufenthaltes von Mohamed in Mekka war eine Interpretation dringend nötig. Ganz anders sind die Suren auf der Zeit, in welcher sich Mohamed in Medina aufhielt und dabei war, sich in zahlreichen Kämpfen und Eroberungen eine Machtbasis zu schaffen. Hier dominieren oft klare, nüchterne Anweisungen. Jedoch war der Koran insgesamt nicht ausreichend, um eine Grundlage für die strikten Regeln zu schaffen, die das Leben eines Rechtgläubigen regeln. Also war es nötig, neue Gefäße zu erschaffen, in welche diejenigen Glaubensinhalte gefüllt werden konnten, für die sich im Koran keine Begründungen finden ließen. Dafür eigneten sich die Überlieferungen von der Aussagen und Handlungen Mohameds, die von seinen Zeitgenossen stammen. Allerdings hat sich um Laufe der Zeit eine so unübersehbare Fülle diese Hadithe angesammelt, dass unvorstellbar ist, dass sie alle authentisch sind. Tausende sind vermutlich erst nachträglich erfunden worden, weil sie den jeweiligen Machthabern als Rechtfertigung für ihre Handlungen diesen sollten. Also beschäftigt sich bis zum heutigen Tage ein großer Teil islamischer Gelehrter mit er Erforschung der Überlieferungsketten. Auf diese Weise wurden die Hadithe in unterschiedliche Kategorien eingeteilt, die sich hinsichtlich der Solidität der nachweisbaren Überlieferung unterscheiden.


Zitat

Abu Bakr musste gegen die Abtrünnigen und Steuer-Verweigerer vorgehen und brauchte dafür ein klares Mandat. Im Korn selbst fand er allerdings keine dezidierten Aussagen, wie mit diesen Abweichlern zu verfahren war. Er selbst hatte keine Legitimation, neue Gesetze, die unter Umständen über Leben und Tod entschieden, einzuführen. Ich gehe davon aus, dass dies die Geburtsstunde der Hadithe war, Mohameds außerkoranischer Aussagen. Sie regeln in sehr viel stärkerem Maße Fragen des islamischen Rechts als der Koran. Viele Hadithe aus Abu Bakrs Herrschaftszeit stammen von Aischa, Abu Bakrs Tochter und Mohameds Witwe. Sie steuerte über 2200 Hadithe über ihren Alltag mit Mohamed und über sein Leben bei. Viele Regeln der Scharia sind auf ihre Erzählungen zurückzuführen. Seine anderen Ehefrauen haben entweder gar keine Hadithe über Mohamed überliefert oder nur ganz wenige. Seine Frau Zeinab etwa erzählte elf Hadithe, Safiyya nur neun.


Darüber hinaus gab es zwei weitere Hauptquellen des Hadiths in Abu Bakrs Zeit. Abu Huraira war eine von ihnen: ein Bettler aus der Fremde, der erst sehr spät Muslim geworden war und nur eine kurze Zeit mit Mohamed in Medina verbracht hatte. Dennoch konnte er über 5300 Hadithe über ihn schildern. Einer jener Hadithe gab Abu Bakr die dringend benötigte Legitimation für seinen Umgang mit Abtrünnigen und Zahlungsunwilligen. Abu Huraira behauptete, er habe den Prophet sagen hören: „Mir wurde befohlen, die Menschen zu bekämpfen, bis sie bezeugen, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Mohamed der Gesandte Gottes ist, dass sie das Gebet verrichten und die Steuer entrichten. Wenn sie dies nun tun, haben sie ihr Blut und ihren Besitz vor mir geschützt.“


Eine Aussage, die auch Omars Sohn Abdullah bestätigte. Er überlieferte 2630 Hadithe über den Propheten. Merkwürdig ist, dass so wichtige Äußerungen, in denen es um Leben und Tod geht, nicht im Koran stehen und nur von zwei Männern „gehört“ worden waren.


Abu Huraira genoss kaum Ansehen unter den Muslimen in Medina. Omar ernannte ihn im Jahr 641 zwar zum Statthalter von Bahrain, berief ihn jedoch wenig später zurück nach Medina und beschlagnahmte seinen Besitz; er habe sich angeblich mit Steuergeldern aus der Gemeinde bereichert. Da Abu Huraia die Maßnahme für rechtswidrig hielt, weigerte er sich, das Geld herauszugeben. Omar soll ihn daraufhin so lange beschimpft und ausgepeitscht haben, bis er das Geld im Schatzhaus einzahlte. Omar verbot Abu Huraira sogar, Hadithe über den Propheten zu erzählen, sonder würde er ihn „ins Land der Affen“, nach Afrika, verbannen. Ungeachtet dessen blieben die Überlieferungen von Abu Huraira neben Aischas Hadithen die Hauptquelle der außerkoranischen Erzählungen über Mohamed – bis heute.


Zitat aus:

Mohamed, Ein Abrechnung, Hamed Abdel-Samad, Droemer-Verlag 2015, Seite 23-24

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