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Tom Holland und FAGULON

Historische Islamforschung: Eine westliche Domäne


Viele islamische Autoritäten vertreten die Ansicht, es sei nur gläubigen Muslimen erlaubt, Forschungen zur Geschichte des Islam anzustellen. Alle anderen Publikationen würden keinerlei Beachtung verdienen. Damit werden automatisch die Erkenntnisse der historisch-kritischen Islamforschung der westlichen Akademiker ins Abseits gestellt. Das hat auch seinen guten Grund, denn diese sind in vielfacher Hinsicht geeignet, die Grundfesten der islamischen Glaubensgewissheiten zu erschüttern. Also ist es für die Gläubigen am besten, sie zu ignorieren. Das fällt deshalb besonders leicht, weil es bis zum heutigen Tage kaum muslimische Gelehrte gab, die sich auf dieses - mit verstörenden Erkenntnissen verminte - Territorium gewagt haben. Verständlicherweise, wie man an den zahlreichen Todesurteilen wegen Blasphemie erkennen kann, die allein schon wegen der Behauptung vollstreckt wurden, man müsse die Worte des Koran nicht wörtlich, sondern als Gleichnisse auffassen und könne diese deshalb auch zu anderen Zeiten unterschiedlich interpretieren.


Zitat 1

Denn wenn das gesamte kolossale Gebäude muslimischer Tradition hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit von den Isnaden abhängt und wenn die Isnaden nicht zuverlässig sind, wie können wir dann überhaupt sicher sein, dass der Koran aus der Zeit Mohammeds stammt? Wie können wir wissen, wer ihn zusammengestellt hat, aus welchen Quellen, mit welchen Motiven? Können wir überhaupt sagen, dass er arabischen Ursprungs ist? Kurz: Wissen wir auch nur das Geringste über die Entstehung des Islam?


Auf dem Gebiet der Forschung verhält es sich ähnlich wie in der Natur: Es gibt einen horror vacui. Zahlreiche Wissenschaftler haben in den letzten 40 Jahren auf das unheimliche Schweigen reagiert, das die Ursprünge des Islam zu verbergen scheint: Mehrere Werke haben diese Ursprünge auf verunsichernd radikale Weise umschrieben. So gab es die These, der Koran sei nicht in Arabien, sondern im Irak entstanden; er sei ursprünglich nicht auf Arabisch, sondern auf Syrisch - der damaligen Lingua franca des Vorderen Orients - abgefasst gewesen; oder der Name »Mohammed« sei eigentlich ein Titel gewesen, der sich auf Jesus bezog. …


Zitat 2

Das Interesse des Westens am Islam ist zwar in den letzten zehn Jahren in ungeahnte Höhen emporgeschnellt, doch die Krisenstimmung, von der momentan die akademische Beschäftigung mit den Ursprüngen des Islam geprägt ist, wurde kaum wahrgenommen. Einem finsteren Meeresungetüm gleich kommt dieser ganze Komplex kaum einmal an die Oberfläche und zieht es vor, in der Tiefe zu lauern.


Und die dem Thema inhärente Komplexität ist dafür durchaus nicht der einzige Grund. So wie Darwin zu seiner Zeit körperliche Beschwerden hatte wegen der Sorge um die Akzeptanz seiner Theorie durch seine Familie und seine Freunde, so empfinden viele heute nicht weniger Nervosität bei dem Gedanken, dass sie bei Menschen Anstoß erregen könnten, deren ganzes Leben sich auf ihrem Glauben gründet. Wenn ein Atheist behauptet, der Koran sei möglicherweise nicht in Arabien entstanden oder er habe sich aus christlichen Hymnen entwickelt, oder er sei ursprünglich auf Syrisch abgefasst gewesen, dann ist das für Muslime nicht weniger schockierend als es die muslimische Leugnung der Gottheit Jesu für Christen immer war. Im Europa des 19. Jahrhunderts waren es desillusionierte Seminaristen und die Söhne protestantischer Pfarrer, die sich als Erste daranmachten, die Ursprünge der Religion ihrer Vorväter dem erbarmungslosen Blick historischer Forschung auszusetzen.


Dazu gibt es in der islamischen Welt von heute kein Pendant: Man kann wohl sagen, dass dort kaum die Neigung erkennbar ist, sich ebenfalls auf diesen Weg zu begeben. Kein Ernest Renan hat sich dort zu Wort gemeldet, der die gläubigen Muslime aus ihrer Glaubensgewissheit aufscheucht. Keine desillusionierten Imam-Söhne stellten die Autorschaft des Koran in Frage. Die ganz wenigen Muslime, die in der von den europäischen Gelehrten des 19. Jahrhunderts gewiesenen Richtung forschen wollten, zogen es meistens vor, unter Pseudonym zu schreiben - oder sie mussten mit Konsequenzen rechnen. In der arabischen Welt riskiert man jedenfalls, wenn man die traditionelle Darstellung der Ursprünge des Islam in Frage stellt, Morddrohungen, Verfolgung wegen Abfalls vom Glauben, ja sogar Defenestration.


Das hat ebenso zwingend wie bedauerlicherweise zur Folge, dass Zweifel an der traditionellen Darstellung der Ursprünge des Islam nach wie vor das ist, was sie immer war: eine Domäne westlicher Wissenschaftler. Tatsächlich sind einige von diesen Wissenschaftlern ihrerseits Muslime - darunter ein Professor an der Universität Münster; er hat sich als derart waschechter Nachkomme der preußisch-deutschen Gelehrtentradition erwiesen, dass auch er wie einige seiner radikaleren nichtmuslimischen Kollegen behauptet, Mohammed sei lediglich eine Gestalt des Mythos.


Zitat aus: Im Schatten des Schwertes. Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreiches. Tom Holland, übersetzt aus dem Englischen von Susanne Held, Klett-Cotta 2012, Seite 54-55

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