Vielen Menschen, die sich von Journalisten verleumdet oder beleidigt fühlen, kommt die Idee, sich vor Gericht dagegen zu verteidigen. Sie halten es für logisch, denn es ist relativ leicht, einen Nachbarn wegen einer nachgewiesenen Beleidigung zu verklagen und auch Recht zu bekommen. Also stolpern sie in eine kostspielige Falle, denn sie werden in fast allen Fällen verlieren. Ganz seltene Ausnahmen bestätigen die Regel. Zum Beispiel konnte sich Thilo Sarrazin mit einer Klage gegen eine herabsetzende Darstellung seiner Person durchsetzen, weil sie sich auf seinen Gesichtsausdruck bezog. Die Journalistin sah in ihrem Artikel darin einen Beweis für seinen miesen Charakter, hatte aber nicht bedacht, dass Sarrazin seit einer Operation an einer teilweisen Lähmung seiner Gesichtsmuskulatur leidet. So hatte seine Klage Erfolg. Warum man aber sonst fast immer bei Klagen gegen Journalisten scheitert, liegt an einem einfachen Trick, den diese ständig anwenden, der aber den meisten Menschen unbekannt ist. Ulrich Vorgerau enthüllt, worin dieser Trick besteht.
Zitat 1: "Die Zeitungen haben nach geltendem Presserecht gewissermaßen das Recht, kritische Bürger zu verleumden und schlechtzumachen - solange dies nur aus politischen Gründen geschieht und das Privatleben geschont wird. Die entscheidende Weichenstellung im Presse- und Medienrecht, um die sich auch in entsprechenden Gerichtsverfahren argumentativ alles dreht, ist die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen auf der einen Seite und Meinungsäußerungen beziehungsweise Wertungen auf der anderen. Meinungsäußerungen und Wertungen unterfallen der Meinungs- und Pressefreiheit, das heißt sie sind im Ergebnis unangreifbar, egal, wie beleidigend und herabsetzend sie aus Sicht des Betroffenen auch sein mögen. Die Verurteilung eines Journalisten wegen strafrechtlicher Tatbestände, wie etwa Beleidigung, Verleumdung oder übler Nachrede ist in der heutigen Zeit eine eher theoretische Möglichkeit, die sich aber in
der Praxis nicht realisiert. Stets setzt sich die Pressefreiheit des Grundgesetzes durch, in »deren Licht« ja die strafrechtlichen Tatbestände auszulegen sind mit der Folge, dass diese Paragrafen eben auf Journalisten im Dienst faktisch nicht angewendet werden.
Dass diese strafrechtlichen Paragrafen hingegen nach wie vor jeden Normalbürger bedrohen, der zum Beispiel gegenüber einem Nachbarn einmal ausfallend geworden ist oder sich - ein häufiger Fall – in einer rasch hingeworfenen E-Mail einmal im Ton vergriffen hat, und zwar, ohne dass er mit seiner Äußerung 100 000 Leser erreicht hätte oder die Beleidigung anschließend 50 Jahre lang ins Internet stellen würde, das nennen Juristen eigentlich einen »Wertungswiderspruch«."
Ulrich Vosgerau, Die Herrschaft des Unrechts. Die Asylkrise, die Krise des Verfassungsstaates und die Rolle der Massenmedien, Kopp Verlag, 2018, Seite 161
Zitat 2: "Nur bei einer wirklich reinen Sachaussage könnte der Betroffene jedenfalls eine Gegendarstellung formulieren und (wenn die Tatsachenbehauptung unwahr ist) außerdem Unterlassung der fraglichen Tatsachenbehauptung von der jeweiligen Zeitung verlangen. Daraus folgt technisch, dass reine Tatsachenbehauptungen, sollten sie denn einmal vorkommen, gefährlich sind, allein von ihnen hätte eine Zeitung juristische Konsequenzen zu befürchten - pöbeln darf sie ja. Auf diesen presse- und medienrechtlichen Umstand ist der viele Leser enervierende, oft seltsam schnoddrige und scheinbar unnötig polemische Schreibstil vieler moderner Massenmedien, wie etwa des bekannten Portals Spiegel Online, in Wahrheit zurückzuführen. Die Redakteure sind darauf trainiert, keinen Satz zu produzieren, der nicht auch irgendein Element der Wertung enthält, mag dieses auch in zusammenhangloser Herablassung bestehen. Diese Technik, die auf den Leser oft wie dümmliche Dauerarroganz wirken mag, dient dem Zweck, die Sätze presserechtlich unangreifbar zu machen."
Ulrich Vosgerau, Die Herrschaft des Unrechts. Die Asylkrise, die Krise des Verfassungsstaates und die Rolle der Massenmedien, Kopp Verlag, 2018, Seite 163
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