Die Erfahrungen, welche Jugendrichterin Kirsten Heisig auf ihren Auslandsreisen gemacht hat, beziehen sich nicht nur auf effektive Methoden zur Prävention bzw. Verfolgung von Straftaten junger Menschen in Migranten-Ghettos. Sie hat auch nachahmenswerte Projekte gefunden, die der (in Deutschland oft hohl klingenden) Devise vom Dualismus von "Fordern und Fördern" wirkliche Substanz geben. Offenbar funktionieren viele davon schon seit Jahren und sollten in Deutschland kopiert werden, ohne von "politisch korrekter" Demagogie überschattet zu werden.
Zitat 1: "Wir besuchen eine Grundschule in einem überwiegend von Einwanderern bewohnten Stadtteil. Der Direktor schockt uns zunächst einmal mit dem Eingangsstatement, man befinde sich in einer ,,schwarzen" Schule. Alle 24O Schüler haben einen Migrationshintergrund. Er freut sich darüber und begründet dies einleuchtend: Wird die Bildungsstätte als „schwarz" eingestuft, ist sie gegenüber ,weißen" Schulen personell und materiell besser ausgestattet.
Vom Jugendamt aus wurde ein „Elterncoach" bestimmt. Dieser hat bei hartnäckiger Verweigerungshaltung die Befugnis, Auflagen zu erteilen. Eine solche Möglichkeit haben die Jugendämter in Deutschland im Prinzip auch. Nur bleiben sie meist an dem Punkt der Auflagenerteilung stehen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die entsprechenden Falldarstellungen. In den Niederlanden besteht auf der repressiven Ebene noch die zusätzliche Möglichkeit, die Sozialleistungen zu kürzen, wenn die Eltern den Auflagen nicht nachkommen - auch bei uns ein immer wieder diskutierter Vorschlag, der bisher keine Aussicht auf Umsetzung hat. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass hier bereits ein Umdenkprozess im Gange ist."
Kirsten Heisig, Das Ende der Geduld, Konsequent gegen jugendliche Straftäter, Verlag Herder, 2010, Seite 173
Zitat 2: "Im Weiteren möchte ich hier noch auf den Bereich der Berufsausbildung in Rotterdam hinweisen. Die Stadt hat kein größeres Problem mit der Arbeitslosigkeit, die hier bei acht Prozent liegt. Dennoch gibt es das Jugendberufshilfezentrum, das jungen Menschen bei der Ausbildungsplatz- und Berufsorientierung behilflich sein soll. Hier werden neben der üblichen Beratung und Vermittlung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen die privaten Unternehmen in die Tätigkeit einbezogen.
Es sind direkt in den Räumlichkeiten des Zentrums Plätze eingerichtet, die die Arbeitgeber nutzen können, um persönlich, jederzeit und vor Ort mit den arbeitssuchenden Personen in Kontakt zu treten. In größeren Veranstaltungen, sogenannten ,speed meetings", wandern junge Menschen im Dreiminutentakt von einem Arbeitgebertisch zum nächsten und informieren sich auf diese Weise auf direktem Weg über die freien Stellen.
Auch dieser Ansatz hat mich überzeugt: kein Bewerbungsschreiben, keine frustrierende Ablehnung nach langem Hoffen und Bangen; praxisnah, bedürfnisorientiert von beiden Seiten aus, offen und ehrlich. Allerdings erwartet man in Rotterdam auch, dass das
Angebot des Jugendberufshilfezentrums in Anspruch genommen wird. Ist dies nicht der Fall, entfällt die Sozialunterstützung. Mir scheint das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein innerhalb einer Stadt wie Rotterdam noch ausgeprägter zu sein als in anderen Großstädten."
Kirsten Heisig, Das Ende der Geduld, Konsequent gegen jugendliche Straftäter, Verlag Herder, 2010, Seite 174
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