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  • Thilo Sarrazin und FAGULON

Das Handwerkszeug der Politiker: Passive Lügen


Passive Lügen sind weit wirkungsvoller und gefährlicher als die gemeinen Lügen, also die bewussten Erzählungen einer Unwahrheit. Passive Lügner können nicht angeklagt werden und werden sogar meist nicht also solche erkannt. Es gibt zahlreiche Methoden der passiven Lüge: Sie reichen von den verschiedenen Rahmungs- und Beleuchtungstechniken eines Sachverhalts über dessen Einfärbung (z.B. durch neue, "ideologisch korrekte" Begriffe) bis hin zu der geschickten Präsentation von Statistiken, Umfragen oder Studien. Viele dieser Techniken wurden bereits in "Müllers Manual" von Marc DeSargeau beschrieben. Umfassendere Darstellungen und interaktive Formate zu diesem Thema sind in Arbeit. Darunter auch die Webseite: "Die Kunst der passiven Lüge".


Zitat: "Die vollständige Wahrheit über gesellschaftliche Sachverhalte ist meist sehr komplex und facettenreich. Wer sich in sie vertieft, ist schnell »von des Gedankens Blässe angekränkelt« und wird zum Zweifler. Zweifel und Handeln vertragen sich aber schlecht. Der Politiker möchte gern den Zweifel hinter sich lassen und muss das auch tun, wenn er mit Energie handeln soll. Um den Zweifel zu besiegen, tendiert politisches Handeln zu binären Lösungen: Ja oder nein, gut oder böse, Freund oder Feind, nützlich oder schädlich - das sind die Alternativen, die die Politik liebt.


»Wahrheit« wird da schnell zum philosophischen Begriff. Natürlich ist Politik langfristig umso erfolgreicher, je mehr sie die komplexe Ganzheit der Gesellschaft zur Kenntnis nimmt und in ihrem Handeln berücksichtigt. Aber nur sehr bedeutende Politiker schaffen den geistigen und moralischen Spagat zwischen einer wahrheitsorientierten Betrachtung der komplexen Wirklichkeit und der Notwendigkeit, beim entschiedenen politischen Handeln in ganz klaren Alternativen zu denken und entsprechend vorzugehen. Wenn sich ein Politiker für die Wahrheit interessiert (was immer gut ist), bedeutet das noch lange nicht, dass er die Wahrheit sagt.


Ein Politiker sagt das, was ihm politisch nützlich erscheint. Nutzt ihm die Verschleierung der Wahrheit beziehungsweise die Lüge, wird er sich um die Wahrheit drücken. So war es früher in den Rentendebatten, und so ist es gegenwärtig in den deutschen Debatten zur Demografie, zur Einwanderung zum Islam oder zur Griechenland-Rettung im Rahmen der Europäischen Währungsunion. Konsequent leugneten die Finanz- und Währungspolitiker Europas im Frühjahr 2015 einen Plan B für den Fall, dass eine Einigung mit Griechenland nicht zustande komme.


Die Unwahrheit wird dabei meist gar nicht als Lüge, sondern als Propaganda für eine richtige Sache verstanden. Putins unverfrorene Erklärungen zur Ukraine-Politik seines Landes im Verlauf der Jahre 2014 und 2015 gehören in dieselbe Kategorie. Sie erfüllen ihren Zweck, die westlichen Staaten hinzuhalten und immer wieder das eigene Volk hinter sich zu bringen."


Zitat aus: Thilo Sarrazin, Wunschdenken, Deutsche Verlagsanstalt 2016, Seite 481

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