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  • Marc DeSargeau und FAGULON

Wie entstehen felsenfeste Überzeugungen?



„Durch die eingezäunten Pfade des rechten Glaubens (RELOCOMP, Religion of Overcompensations) werden die Wege des eigenen Denkens und Handelns in einer Weise beschränkt, dass Exkursionen ins Unbekannte und selbstständige Entscheidungen über alternative Pfade nicht mehr nötig sind. So kann die Bequemlichkeit und Denkfaulheit sehr vieler Menschen in idealer Weise gerechtfertigt werden. Nachdem man sich den Guten und Gerechten zugewandt hat, reicht es, deren Glaubenssätze und Rituale zu übernehmen: Schon findet sich für alle Probleme und Fragen eine vorgefertigte, tausendfach bewährte Antwort.


Wie bei allen Religionen wirken auch bei RELOCOMP zwei Verarbeitungsmechanismen des menschlichen Geistes zusammen, was oft eine stark veränderte Abbildung der Wirklichkeit zur Folge hat. Einerseits handelt es sich um den Filter der Wahrnehmung. In den meisten Fällen ist er so effektiv, dass nur ein kleiner Teil der Vorstellung der Realität, die in unserem Kopf entsteht, durch die Sinne erzeugt wird. Den Rest ergänzt das Gehirn mithilfe der bereits existierenden Gedächtnisinformationen. Unbewusst erfolgt deren Auswahl anhand der Kriterien des Wunschdenkens. Mit anderen Worten, es werden diejenigen Erinnerungsschnipsel zur Ergänzung der gefilterten Wahrnehmung ausgewählt, die in das erwünschte Gesamtbild passen. Dies kann durch psychologische Experimente, aber auch durch Untersuchungen an Menschen mit Hirnschäden (z. B. bei der visuellen oder der akustischen Agnosie) sehr eindrucksvoll bewiesen werden.


Natürlich schwanken die Anteile von Wahrnehmung und Ergänzung von Fall zu Fall und von Mensch zu Mensch. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur eines: Mit zunehmender Festigkeit des Glaubens an eine Sache kann die Wahrnehmung der Wirklichkeit bis zur Karikatur verzerrt werden, ohne dass dies dem gläubigen Menschen bewusst wird. So geht es auch vielen RELOCOMP-Jüngern und Bessermenschen-Darstellern.


Häufig sind es vier Schritte, durch die sich RELOCOMP als Ersatz- oder Zusatzreligion der Bessermenschen nahezu irreversibel verfestigt. Die Schritte 1 und 2 sind die Filterblasen, in welchen Nachrichten und ihre Interpretationen auftauchen. Einerseits handelt es sich um die veröffentlichte Meinung in den staatlichen und Oligopolmedien, die von WUVU (Wunschdenken, Visionen und Utopien)-Seilschaften beherrscht werden. Hier ist der Gruppenzwang in der Regel unerbittlich. Die Konkurrenz um einen Job ist groß. Wer nicht den RELOCOMP-Glaubenssätzen folgt, wird bald ausgeklinkt und fällt.


Andererseits wirken die Selektionsalgorithmen der sozialen Medien. Man erfährt nur, was in der Timeline der eigenen Freunde und der Accounts auftaucht, denen man sich als Follower oder Fan zugewandt hat. Auf diese Weise entsteht der Eindruck "Das sagen doch alle!". Wenn alle dies denken und sagen, kann es ja unmöglich falsch sein. So glauben die meisten, es handele sich um tausendfach überprüfte Tatsachen oder von vielen Menschen sorgfältig durchdachte theoretische Hintergründe. Deshalb ist eine eigene Überprüfung ganz offensichtlich überflüssig. Eine weitere Konditionierung erfolgt durch die Kombination von Vereinfachung (z.B. durch Slogans oder Begriffskeulen), Rahmung und Beleuchtung der Meinung sowie deren ständige Wiederholung. Im dritten Schritt wirkt dann der Gruppenzwang unter Arbeitskollegen oder Freunden. Wer sich hier mit einer Meinung positioniert, welche von den anderen als ketzerische Abweichung der RELOCOMP-Wahrheiten angesehen wird, setzt sich nicht nur erregten Diskussionen aus, sondern verliert bald sein Ansehen in der Gruppe. Mehr oder weniger subtiles Mobbing ist oft die Folge. Schließlich erfolgt im vierten Schritt die unbewusste Verfestigung der "eigenen" Meinung zu der Überzeugung, dass es sich dabei um unumstößliche Wahrheiten handelt.


Zitat aus: Die Religion der Überkompensationen, Marc DeSargeau, FAGULON-Verlag 2021

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