Spätestens seit der Erwähnung der Erblichkeit von Intelligenz im Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin ist dieses -langen unterdrückte - Thema immer wieder Gegenstand heftiger Debatten. Erneut taucht es im Zusammenhang mit den Migrantenfluten aus Afrika und dem Nahen Osten auf. Dabei stehen sich zwei Auffassungen gegenüber: Die einen sind der Meinung, dass jeder bei ausreichender Ausbildung zu gleichen kognitiven Fähigkeiten gelangen kann und verdammen andere Ansichten als rassistisch. Die Nazi-Keule wird dabei gern geschwungen.
Die anderen verweisen auf die wissenschaftlichen Daten, die das Gegenteil belegen. Dazu gehört auch der Wissenschaftsjournalist Dieter Zimmer. Sein Buch wurde durch die hysterische Diskussion über Sarrazins angeblich rassistische Aussagen zur Erblichkeit der Intelligenz angeregt. Er konnte soviel Ignoranz der Fakten einfach nicht ertragen und musste sich äußern. Die überzeugendsten Ergebnisse zur Frage der Erblichkeit von Intelligenz und anderen Eigenschaften stammen aus der Analyse früh getrennter eineiiger Zwillinge und sprechen eine eindeutige Sprache. Dabei muss auch der Einfluss der Epigenetik - also die Veränderung Regulation der Genablesung im Lauf des Lebens - berücksichtigt werden. Würde dieser Prozess nicht mit zunehmendem Alter immer stärker werden, wäre die Ähnlichkeit noch viel größer.
Zitat:
"Die MZ-Studie von Minneapolis war damit die erste und einzige seit 1965. Die maßgebliche Veröffentlichung ihrer Ergebnisse stand 1990 in der Zeitschrift Science." Sie wertete die 330 eineiigen Zwillingspaare aus, die das Projekt bis dahin durchlaufen hatten, 56 getrennt und 274 zusammen aufgewachsene. Dass das mehr waren als in jeder der vorhergehenden Studien, war nicht ihr einziger Vorzug. Auch die Aussagekraft des Samples war höher, denn die MZA-Paare waren wesentlich früher getrennt worden (im Durchschnitt mit fünf, nicht erst mit 18 Monaten), auch wesentlich später wieder vereint (im Durchschnitt nach 30 Jahren, nicht schon mit 12) und früher nach ihrer Begegnung untersucht (nicht im Schnitt 25, sondern nur acht Jahre später). Was herauskam, waren Korrelationen und mit ihnen Erblichkeitsschätzungen für viele physische und psychische Merkmale, vom Körpergewicht über den Blutdruck und die beruflichen Interessen bis zur Religiosität.
Hier soll nur die eine interessieren: die des IQ. Die Erblichkeit des IQ, so errechneten Bouchard und seine Mitarbeiter, betrage um die 75 Prozent, 0.75 in anderer Schreibweise. (Eine spätere Neuanalyse aller 126 getrennt aufgewachsenen Zwillingspaare, die zwischen 1979 und 2000 in Minneapolis untersucht wurden, korrigierte die Erblichkeit der kognitiven Grundfähigkeit, des g-Faktors, auf 0.77.") 75 oder 77 Prozent: Das heißt, dass in der untersuchten Gruppe von Erwachsenen die individuellen IQ-Unterschiede zu drei Vierteln auf die Gene (genauer: auf unterschiedliche Allele der für den IQ relevanten Gene) und zu einem Viertel auf nicht genetische Einflüsse zurückzuführen waren. Die Zahl deckte sich fast perfekt mit den drei vorangegangenen MZA-Studien. Insofern hatte der ganze Aufwand in dieser Hinsicht nichts Neues gebracht. Aber er hatte die alten Resultate überzeugend untermauert.
Die Zwillingspaare, die zusammen aufgewachsen waren, müssten auch die meisten Umwelteinflüsse gemein gehabt haben, sie müssten sich also insgesamt ähnlicher sein. Das waren sie auch, aber der Unterschied war bescheiden. Beim Wechsler-IQ-Test betrug die Interkorrelation der MZA 0.69, der MZT 0.88. Wenn eineiige Zwillinge Kindheit und Jugend in der gleichen Familie verbringen, erhöht das die Korrelation ihres IQ um o.19. 19 Prozent - das war dann alles in allem der Beitrag der gleichen Familienumwelt zu ihrer Ähnlichkeit.
Nebenbei machten solche Zahlen von neuem klar: dass eineiige Zwillinge trotz ihrer genetischen Identität in keinem einzigen phänotypischen Merkmal je völlig übereinstimmen - ob sie nun zusammen aufwachsen oder getrennt. Nie kommt es vor, dass die Korrelation schlicht 1 beträgt."
Zitat aus: Dieter E. Zimmer, Ist Intelligenz erblich? Eine Klarstellung, Rowohlt-Verlag, 2012, Seite 49 und 50
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