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Ãœberkompensationen: Der Wettlauf um das Benachteiligtsein



Geben ist zwar seliger als Nehmen, aber dauerhaftes Nehmen ohne eigene Anstrengung, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, ist durchaus nicht selig machend. Zumindest ergibt sich diese Schlussfolgerung aus der Bibel und den anderen heiligen Büchern von Religionen. Es muss also eine uralte Menschheitserfahrung hinter diesem Imperativ stecken. Das Bundesverfassungsgericht vor einiger Zeit sogar entschieden, dass illegal ins Land gekommenen Menschen (und auch diejenigen, die bereits rechtskräftig zur Abschiebung verurteilt sind) dauerhaft den vollen Anspruch auf die deutschen Sozialleistungen haben. Damit ist ein enormer "Pull-Faktor" entstanden, den die Regierung zunächst durch eine Mindestversorgung mit Naturalien verhindern wollte.


Deshalb hat sich sowohl bei den Migranten als auch den deutschen Dauer-Empfängern von Grundsicherungen die Erfahrung verfestigt, dass man dauerhaft sehr gut von diesen Leistungen leben, kann - besonders wenn man viele Kinder hat. Hinzu kommt der Anspruch auf zahlreiche Zusatzleistungen, wie technische Geräte, Zuschüsse zu Reisen u.ä. Parallel ist eine riesige Sozialindustrie entstanden, die von den z.T. horrenden Honoraren und Mietzuschüssen profitiert, die der Staat in aller Stille, aber umso freigiebiger ausschüttet. Wie sich diese Situation entwickelt hat, beschreibt dieses Zitat völlig illusionslos.


Zitat:

"In der Kultur der Politischen Korrektheit hat der heilige Arbeiter schließlich seine moralische Schlüsselstellung an den Benachteiligten abtreten müssen. Wir haben es hier mit einem Schulbeispiel der Dialektik der Aufklärung zu tun. Wer eigene Vorurteile bekämpfen will, erzeugt neue Vorurteile durch Überkompensation: Man ist zu freundlich und zu hilfsbereit gegenüber den Benachteiligten. Der Gutmensch begünstigt die Benachteiligten, diskriminiert zugunsten der Marginalen - und konsumiert dabei das Hochgefühl der Nichtdiskriminierung. Politisch schlägt sich das darin nieder, dass Minderheiten und Benachteiligte immer mehr Rechtsansprüche auf staatliche Leistungen bekommen.


Heute vollendet sich die Herrschaft der Minderheiten. Wer am Rand steht, auffallend anders ist oder nicht mitkommt, bekommt immer mehr Rechtsansprüche auf staatliche Leistungen. Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit bezieht sich eben primär auf die Schwachen und Unterlegenen unserer Gesellschaft. Er fordert Gleichheit durch Ungleichheit; seine Allegorie ist das Handicap.


Der Verwaltungsrechtler Otto Bachoff hat die soziale Gerechtigkeit deshalb als eine die abstrakte Gleichheit zugunsten der Schaffung konkreter Gleichheit durchbrechende Gerechtigkeit definiert. Der Wohlfahrtsstaat prämiert den Mangel. Wer ein Handicap vorweisen kann, sichert sich sozialstaatlichen Beistand. Der Soziologe Heinz Bude meint sogar: Es erweist sich als eine fürs Überleben dienliche Cleverness, sich einen wie auch immer gearteten Behindertenstatus zuzulegen. So entwickelt sich regelrechter Wettbewerb um den Status des Benachteiligtseins.


Und den Menschen mit Handicap stehen immer mehr Berater zur Seite, die einen immer größeren Fürsorgebedarf durch die Erfindung von Defiziten erzeugen. Prinzipiell kann man sagen: Je mehr Berater und Therapeuten es gibt, desto mehr wird die Welt vom einem Gefühl der Benachteiligung gerahmt."

Norbert Bolz, Diskurs über die Ungleichheit, Wilhelm Fink Verlag, München, 2009, Seite 91


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