Diese Basaltsäulen setzen sich aus gleichartigen und harten Elementen zusammen, die eng zusammengedrängt allen Umwelteinflüssen trotzen. Insofern eignen sie sich sich gleichermaßen als Sinnbild für fanatische Sekten und kriminelle Clans. Dort zählen nur die eigenen Regeln und jedermann, der diese verletzt, verliert den Schutz der Gruppe, wird ausgestoßen und oft sogar als Verräter oder Abtrünniger getötet. Diese und ähnliche Analogien findet Abdel-Samad auch im Vergleich der Mafia mit den Milizen des fundamentalistischen Islam. Wenngleich der "Islamische Staat" in Syrien und im Irak eine vernichtende Niederlage erlitten hat, sind kleinere Gruppen dort immer noch aktiv. Ungebrochen ist deren Macht jedoch in einigen Regionen von Afghanistan, in afrikanischen Staaten oder in Libyen. Ähnliche Regeln herrschen auch unter Salafisten und anderen fundamentalistischen Sekten des Islam. Insofern ist dieser Vergleich unvermindert aktuell und wichtig.
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„Der Mensch braucht Werte, Selbst Ehrenmänner, die an nichts anderes glauben als an die Macht der Cosa Nostra, brauchen ein System, das ihnen Werte vorgibt und sie einordnet. Jedes nach Absolutheit strebende Wertesystem (…) liefert seinen Anhängern nicht nur ein komplettes Weltbild, ein stramm sitzendes Korsett von Regeln und Verhaltensweisen, sondern stets auch ein ideologisches Fundament“, schreibt Petra Reski über die Mafia.
Islam und Mafia sind als eingeschworene Bruderschaften entstanden, die ein tiefes Misstrauen gegenüber Menschen eint, die nicht zur gleichen Familie bzw. Glaubensgemeinschaft gehören. Untereinander ist man freundlich und barmherzig, brutal und rücksichtslos aber gegenüber Feinden. Der Koran beschreibt die erste Gemeinde der Muslime mit diesen Worten: »Muhammad ist der Gesandte Allahs. Und die, die mit ihm sind, sind hart gegen die Ungläubigen, doch barmherzig zueinander«, heißt es in Sure 48:29. Die Feinde werden entmenschlicht, ihre Ermordung zum normalen, alltäglichen Akt. Ein Soldat Mohameds konnte im Gebet vor Ehrfurcht weinen und wenige Minuten später einen Ungläubigen enthaupten, ohne mit der Wimper zu zucken. Denn einen Ungläubigen zu töten ist die Erfüllung des Willens Gottes. Und nicht nur das: Allah greift direkt ein. »Nicht ihr habt sie erschlagen, sondern Allah erschlug sie. Und nicht du hast geschossen, sondern Allah gab den Schuss ab«, ist in Sure 8:17 zu lesen. Wem Gott die Hand führt, für den gilt demnach auch kein irdisches Strafmaß.
Gleichermaßen kann ein Mafioso andächtig in der Kirche einer Predigt über Nächstenliebe lauschen, danach vor der Marienstatue niederknien und wenige Minuten später einen Menschen auf offener Straße erschießen - ohne darin einen Widerspruch zu erkennen. „Einem Mafioso fällt es nicht schwer, zu morden. Jedenfalls nicht schwerer als einem Soldaten. Wenn Italien einen Krieg mit einem anderen Land anfinge, und ein italienischer Soldat erschösse fünfzig oder sechzig Feinde, dann würde man den Soldaten nicht für einen Verbrecher halten, sondern ihn als Kriegshelden ehren. Sagen die Mafiosi. Denn sie definieren sich als Soldaten, die nie aus persönlichen Gründen morden, sondern für ihren Staat und ihr Volk."
Was für die Welt eine Verbrecherorganisation ist, ist für Mafiosi eine Gesellschaft, ein Staat, ein Volk. Und deshalb hat ein Mafioso auch kein schlechtes Gewissen, wenn er jemanden umbringt. Ihn interessiert nur das Urteil seines Volkes, nicht das der Fremden. Genau wie einen Soldaten, der sich im Krieg befindet.“ Die Umstände oder die Auslegung liefern die Legitimation.
Zitat aus:
Mohamed, Ein Abrechnung, Hamed Abdel-Samad, Droemer-Verlag 2015, Seite 100-102
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