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  • Marc DeSargeau und FAGULON

Der Unsinn der Gipfeldiplomatie



„Erfunden wurde die Gipfeldiplomatie durch die Eitelkeit von zwei Freunden, die sich in ihrer Rolle als deutscher bzw. französischer Regierungschef zu klein fühlten. Sie wollten gerne als "World Leader" wahrgenommen werden. Die Zeit der bipolaren Welt im Spannungsfeld zwischen Moskau und Washington sollte ein Ende nehmen. Sicherlich war dies zu jener Zeit keine schlechte Idee, auch weil die persönlichen Beziehungen der beiden vieles hinter den Kulissen bewegen konnten und der "Gipfel" nur zur offiziellen Absegnung des bereits Beschlossenen gebraucht wurde.


Im Laufe der Zeit ist jedoch daraus eine Inflation der Gipfel entstanden, die von der irrigen Vorstellung ausgeht, dass nur die Staatschefs oder die verantwortlichen Minister in direkten Gesprächen irgendetwas Wichtiges regeln könnten. Es gibt die G-8 und die G-20 Gipfel, die Europa-Gipfel, die Klima-Gipfel, die Euro-Gipfel, die Finanzkrisen-Gipfel, die Terrorismus-Gipfel, die bilateralen Gipfel und zahllose andere Gipfel auf der Ebene der Minister. Viele Regierungschefs und Minister reisen ununterbrochen zu Gipfeln und haben zu Hause kaum Zeit zu lesen, zu verstehen und ihren eigentlichen Aufgaben nachzukommen. Trotzdem kann sich keiner der Teilnehmer dem ständigen Anhören und bzw. Ablesen vorbereiteter Reden entziehen, weil ihr Fernbleiben von den anderen Polit-Größen als unverzeihliche Nichtachtung, ja sogar als Demütigung ausgelegt werden würde. Zudem muss die Reaktion der Medien auf das Schwänzen solcher Veranstaltungen in Betracht gezogen werden.


Was sind die Resultate der meisten Gipfel: Man vertagt sich bei wichtigen Fragen und lässt die unteren Chargen nächtelang an Abschlusserklärungen feilen, deren nichtssagende Allgemeinplätze bereits nach einem Tag vergessen sind. Selbst wenn die Gipfelteilnehmer in der Lage wären, kenntnisreich und kreativ um die besten Lösungen drängender Probleme zu streiten - die Zeit dazu fehlt fast immer. Wenn man sich z.B. die Tagesordnungen der G8- oder G20-Gipfel ansieht, kann man nur in Gelächter ausbrechen.


Zwischen verschiedenen aufwändigen Unterhaltungsprogrammen werden die Sitzungen eingeschoben, in denen für wichtige und komplexe Themen bestenfalls 30-45 Minuten bleiben. Wenn man nun noch die Zeit abzieht, welche die Teilnehmer zum Verlesen vorbereiteter Erklärungen brauchen, bleibt eigentlich nichts mehr übrig. Gelegentlich nutzen Regierungschefs oder Minister die Gelegenheit, sich aus der offiziellen Runde zu verabschieden, um sich in vertraulichen Gesprächen näher kennenzulernen und vielleicht sogar ein drängendes Problem auf den Weg einer Lösung zu bringen.“


Zitat aus: Marionetten, Neo-Stalis und Monsterwellen, Marc DeSargeau, FAGULON-Verlag 2021

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