Der Titel des berühmten Buches von Tim Holland zum Aufstieg der muslimischen Großmacht ist treffend. Er lautet "Im Schatten des Schwertes, Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreichs". Es erregt immer wieder Erstaunen, wie der aus Mekka geflüchtete, unbekannte und oft verlachte Mohamed in relativ kurzer Zeit nicht nur die Stadt Medina unter seine Kontrolle bringen konnte, sondern auch ein erfolgreicher und wohlhabender Kriegsherr wurde. Wer unterstützte ihn dabei und aus welchen Motiven? Konvertierten die arabischen Stämme in seinem Einflussbereich freiwillig, weil sie von der Großartigkeit der Offenbarungen Mohameds berauscht waren und deshalb diese neue Lehre auch bereitwillig mit ihrem Leben verteidigen und ausbreiten wollten? Spielten vielleicht ganz andere Faktoren bei militärischen Erfolgen Mohameds und der Ausbreitung des Islam eine Rolle?
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Er nahm Kontakt mit den Saa’alik vom Berg Tehama auf und bot ihnen eine Allianz an. Wenn sie zum Islam konvertierten, würden sie fortan unter seinem Schutz stehen. Die Sklaven unter ihnen würden frei, wer von seinem Stamm verstoßen worden sei, würde bei ihm eine neue Heimat finden. Das Blut, das an ihren Händen klebte, werde ihnen verziehen. Und das Geld und Gut, das sie erbeutet hatten, gehöre ihnen. Nicht nur diese Männer folgten Mohameds Ruf, sondern auch ein ganzer Stamm namens Ghefar, der von Raubüberfällen lebte. Sie waren neben den Aos und Khasradsch seine wichtigsten Stützen, nachdem er Mekka verlassen hatte.
Aus der Perspektive eines wohlmeinenden Propheten erscheint es normal, sich um Sünder, um Ausgestoßene und Verbrecher zu kümmern und zu versuchen, diese Menschen auf den rechten Weg zurückzuführen. Doch Mohamed bemühte sich nicht um diese Leute, um aus ihnen tugendhafte Angehörige einer Gemeinschaft zu machen, sondern um ihre »Expertise« als Kriminelle und Verbrecher zu nutzen und seine eigene Macht zu stärken. Er verbot ihnen nicht, Karawanen zu überfallen, sondern ermunterte sie dazu. Und gab ihnen das Gefühl, ihr kriminelles Tun sei Teil der guten Sache.
In Yathrib orientierte sich Mohamed an der Organisationsstruktur der Saa'alik. Die Idee der Bruderschaft, die dem Credo folgte »Einer für alle und alle für einen«, übernahm er von ihnen. Auch die Strafe des Arme- und Beine-Abhackens für Abtrünnige und Verräter, die Eingang in den Koran fand, stammt von den Räubern. Ihre Strategie der blitzartigen Überfälle kopierte er ebenso wie die Verteilung der Kriegsbeute nach einem festgelegten Schlüssel: Der Anführer der Bruderschaft bekam in der Regel ein Viertel der Beute, der Rest wurde unter den Kämpfern verteilt.
Mohamed war etwas großzügiger. Er beanspruchte für sich und seine Verwandten nur ein Fünftel der Beute. Im Koran steht dazu: »Und wisset, was immer ihr erbeuten möget, ein Fünftel davon gehört Allah und dem Gesandten und der Verwandtschaft und den Waisen und den Bedürftigen und dem Sohn des Weges.« (Sure 8:41). Sure 8 trägt denn auch den Titel »Die Kriegsbeute«. Erst nach dem Bündnis mit den Stämmen von Medina und den verstoßenen Räubern Arabiens begann Mohameds eigentliche Karriere als »Staatsmann«. Sie - und damit auch der Siegeszug des Islam - fußt letztlich auf einer Allianz mit der organisierten Kriminalität.
In islamischen Quellen wird der Karawanenraub zwar erwähnt, aber als eine gerechte Handlung beschrieben, seine Anhänger seien aus Mekka vertrieben worden und hätten ihr Hab und Gut zurücklassen müssen. Abgesehen davon, dass dies auf kaum einen seiner Gefolgschaft zutraf, sei die Frage erlaubt, ob Unrecht mit Unrecht vergolten werden kann. Auch die rund achtzig Kriege, die Mohamed in ganz Arabien führte, werden in den islamischen Quellen entweder als Verteidigungskriege beschrieben oder als solche, die notwendig waren, um die Einheit der Araber zu ermöglichen. Ebenfalls wird erzählt, dass die gleichen Stämme, die Mohamed einst abgelehnt hatten, sich ihm später freiwillig und geschlossen ergeben und den Islam angenommen hätten.
Was zu ihrem Sinneswandel geführt hat, wird nicht erwähnt. Warum war Mohamed auf taube Ohren gestoßen, als er eine friedliche Botschaft predigte? Warum waren die Stämme von den ersten Koransuren nicht beeindruckt, obwohl diese poetischer und bewegender waren als die Suren von Medina, die oft in trockener Prosa und unverhohlener Härte vom Krieg gegen die Ungläubigen sprachen? Wie freiwillig war diese Kehrtwende tatsächlich? Sie mag einem gewissen Pragmatismus geschuldet gewesen sein, sicher aber auch einer gehörigen Portion Angst. Die islamischen Quellen übersehen geflissentlich, dass einige Stämme den Islam aus Furcht annahmen; andere mögen darin eine Chance gesehen haben, sich ein eigenes Stückchen Macht zu sichern, am Erfolg zu partizipieren. Das Schwert hatte offenbar eine größere Wirkung als das Wort an sich.
Zitat aus:
Mohamed, Ein Abrechnung, Hamed Abdel-Samad, Droemer-Verlag 2015, Seite 86-88
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