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  • Thilo Sarrazin und FAGULON

Die Angst vieler Politiker vor komplexen Sachverhalten


Der lange Zeitraum, über den sich in Deutschland bereits die Selektion der Unterdurchschnittlichen entsprechend dem "Peter-Prinzip" vollzog, hat mehrere Folgen. Einerseits sammeln sich Opportunisten und Ja-Sager auf allen Ebenen an. Andererseits entsteht eine große Kaste von Berufspolitikern, welche die sogenannte "Saalamander"-Karriere hinter sich haben. Dieser Saalamander muss mit doppeltem "a" geschrieben werden, weil ein Lebenwesen ist, welches aus dem Kreißsaal über den Hörsaal direkt in den Parlaments-Saal gelangt und das reale Leben nur aus den Medien kennt. Mit dem tierischen Salamander ist er aber eng verwandt, denn er kann seine Farbe blitzschnell ändern, sobald er in einer anderem Umgebung ist. So entsteht der ängstliche Opportunismus, mit dem man seine eigene Stellung zu halten oder zu verbessern sucht. Hinzu kommt die Angst, die eigene Unwissenheit zu offenbaren. Das erhöht die Folgsamkeit gegenüber den Oberen der eigenen Partei und sichert die genaue Wiederholung der vorgegebenen Sprechblasen.


Zitat: "Jeder nennenswerte Eingriff in die Wirklichkeit durch politisches Handeln wirkt nicht nur in die erhoffte Richtung, sondern erzeugt eine Fülle direkter und indirekter Nebenwirkungen, die häufig noch tiefgreifender sind als die Wirkung in der Hauptsache. Gute Politik schätzt solche Nebenwirkungen vorher ab und versucht sie zu begrenzen. Das erfordert nicht nur politisches Gespür, sondern auch fachliche Expertise. Politisches Handeln wird erfolgreicher und die unerwarteten Nebenwirkungen nehmen ab, wenn man sich an empirisch bewährte und theoretisch fundierte Handlungsregeln hält, aus einem Gesamtkonzept arbeitet und in überschaubaren Stufen vorgeht.


Gleichwohl bleibt ein Grundproblem: Der handlungsorientierte Typus des Politikers schätzt Komplexität überhaupt nicht. Sie sät Zweifel in sein Handeln und ist geistig unnötig anstrengend. So lehrt uns die Geschichte immer wieder, dass komplexe politische Probleme mit einer verderblichen Mischung aus Tatkraft, Gedankenlosigkeit und Opportunismus angegangen werden. Barbara Tuchman hat dies in Die Torheit der Regierenden wunderbar mit Beispielen aus der gesamten Menschheitsgeschichte unterlegt."...


"Noch nie hat es geschadet, wenn ein Fachpolitiker auch Fachmann ist: Ein Jurist mit zwei sehr guten Prädikatsexamen gibt nun mal den besseren Justizminister ab und ein qualifizierter Ökonom mit geschultem Zahlenverständnis den besseren Finanzminister, wenn beide auch etwas von Politik verstehen.


Leider ging in den vergangenen Jahrzehnten der Anteil der Politiker mit formaler Schulung, breiter Bildung und fachlicher Expertise immer weiter zurück zugunsten einer immer größeren Zahl gefühlsgesteuerter Dilettanten und gesichtsloser Opportunisten. Ich erinnere mich an zahlreiche Gespräche, bei denen ich schlicht am mangelhaften Abstraktionsvermögen meines Gegenübers scheiterte. Dieser Mangel war den Betroffenen häufig ganz willkommen, weil er es ihnen leichter machte, ihren opportunistischen Impulsen zu folgen.


Vor den Naturwissenschaften haben Politiker noch den meisten Respekt. Deren Ergebnisse werden einfach ignoriert, wenn sie nicht ins Weltbild passen. Tendenziell aggressiver fällt die politische Reaktion aus, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse zur eigenen Ideologie in Widerspruch geraten. Das zeigt sich besonders anschaulich in der Intelligenz- und Bildungsforschung. Hier setzt allmählich und gleitend das Phänomen ein, dass gewisse Forschungsrichtungen und Forschungsfelder einen affirmativen Charakter annehmen und zur Magd bestimmter politischer Grundeinstellungen oder bestimmter politischer Ziele werden.


Auch Wissenschaftler sind Menschen aus Fleisch und Blut und verfolgen nicht selten opportunistische Ziele: Sie möchten Anerkennung finden, Forschungsgelder einwerben oder an die Spitze eines bestimmten renommierten Instituts berufen werden. Dafür leisten sie schon mal einen politischen Lippendienst. Gerade die Gesellschaftswissenschaften sind für politische Korruption dieser Art anfällig. Nicht die Wahrheit ist dann das Ziel, sondern der Wunsch, einer bestimmten Lesart Geltung zu verschaffen. Ein typisches Beispiel dafür sind die herrschenden Trends in der sogenannten Genderforschung."


Zitat aus: Thilo Sarrazin, Wunschdenken, Deutsche Verlagsanstalt 2016, Seite 486 und 483



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