„Nun werden naive Gemüter sicherlich fragen, ob bei dieser Behauptung nicht vielleicht zynische Nichtachtung im Spiel ist. Politiker machen doch auch Erfahrungen. Scheinbar lernen sie jeden Tag. Sie jetten durch die Welt, treffen einflussreiche Leute und könnten so innerhalb kurzer Zeit ihren Horizont erweitern und bereichern. So müssten sie schließlich jedem anderen überlegen sein, der diese Möglichkeiten nicht hat. Klingt eigentlich plausibel, aber genau das Gegenteil ist richtig. Ein führender Politiker lernt nichts, rein gar nichts und selbst wenn Jahre vergehen: Sein Wissen nimmt eher ab als zu! …
Warum kann ein Spitzenpolitiker aber nichts lernen, warum kann er keine wirklich relevanten Erfahrungen machen? Weil er den ganzen Tag in Konferenzen, Tagungen und Sitzungen verbringt und diesen Veranstaltungen durch seine physische Präsenz Bedeutung verleihen muss. Dabei hört er eine endlose Zahl von substanzlos repräsentativen Reden, erträgt gnadenlose Wiederholungen und liest seinerseits Texte vor, die von Referenten formuliert wurden. Ist ein solches Manuskript nicht zur Hand, kommen halt wieder die üblichen Sprechblasen und nichtssagenden Versatzstücke zur Anwendung, die in hunderten Reden hemmungslos wiederholt werden. Die Gründe hierfür müssen nicht genauer ausgeführt werden.
Wenn man nun noch die Zeit berücksichtigt, die für sinnlose Reisen zu den zahllosen Gipfeltreffen und bilateralen Meetings verbraucht werden, dann kommen tatsächlich jeden Tag 12-14 Stunden "Arbeit" zusammen, obwohl es sich eigentlich nur um das disziplinierte Wärmen von Stühlen und die Aufrechterhaltung von einigermaßen seriösen Gesichtszügen handelt.“
Zitat aus: Marionetten, Neo-Stalis und Monsterwellen, Marc DeSargeau, FAGULON-Verlag 2021
留言