Es ist ein besonders Merkmal fundamentalistischer Ausprägungen von Religionen, dass sich ihre Anhänger als von Gott erwählt und deshalb allen anderen Menschen überlegen fühlen. Auf diese Ungläubigen kann man entweder mit Mitleid oder Verachtung und Aggression herabblicken. So war es beim Christentum in den vergangenen Jahrhunderten. Einige christliche Glaubensrichtungen (z.B. in den USA) sonnen sich noch heute in der Überzeugung ihrer Überlegenheit. Auch im fundamentalistischen Judentum ist es nicht anders. Bei beiden bleibt jedoch das Element der Gewalt heutzutage ausgespart. Anders ist das beim fundamentalistischen Islam, der auch die gewalttätige Bekämpfung und Vernichtung der "Ungläubigen" als göttlichen Auftrag rechtfertigt.
Auf diesem Hintergrund ist verständlich, dass sich viele junge Männer in den islamischen Ghettos der Religion zuwenden, um ihren Minderwertigkeitskomplex zu kompensieren. Sie haben durchaus Grund dazu, sich gegenüber den meisten Deutschen unterlegen zu fühlen, denn ihr Erfolg in Bildung und Beruf bleibt in der Regel weit hinter dem der meisten Deutschen zurück. Wie immer bestätigen Ausnahmen natürlich nur die Regel. So ist es auch verständlich, wenn sich in den islamischen Ghettos die Religion und das Gefühl der Überlegenheit der "Rechtgläubigen" als ideale Kompensation für den sonst deprimierenden Alltag vieler Menschen anbietet.
Zitat: "Wer mehrere Hundert johlende Menschen aus zum Teil obskuren Gruppierungen mit Sympathien für Hamas, Hisbollah, Salafiten und Millî Görüş für das Idealbild der Zukunft Neuköllns hält, hat ein anderes Weltbild als ich. Mich stoßen derartige Rituale ab. Wer die toleranzzersetzende Wirkung des Fundamentalismus nicht erkennt oder erkennen will, der wird schon allein dadurch zum Helfershelfer.
Insbesondere auf junge Leute üben orthodoxe Religionsauslegungen eine starke Anziehungskraft aus. Sie helfen vielen Gescheiterten, die sich benachteiligt, diskriminiert und ausgegrenzt fühlen, ihre Perspektivlosigkeit zu kompensieren. An ihrer Situation muss jemand schuld sein. Da sie selbst es aus ihrer Sicht nicht sein können, liegt der Fall klar: die deutsche Gesellschaft. Oder im Straßenjargon: die Scheißdeutschen. Für diese Frustrierten stiften die Religion und insbesondere der kompromisslose und fundamentalistische Glaube eine neue Identität. Das stärkt das Bewusstsein und das Selbstwertgefühl. Ich bin anders, ich bin besser, ich lebe ein höheres, gottgefälligeres Leben als die Ungläubigen. Natürlich werden diese Gefühle von dogmatischen Religionslehrern oder Imamen geweckt und gestärkt.
Über Anwerbetechniken, Unterrichtskreise in Privatwohnungen und den Betrieb von Koranschulen ist nicht viel bekannt, wir sind auf Vermutungen und juristisch nicht belastbare Informationen angewiesen. Wir schätzen, dass es etwa 1000 Koranschulplätze mit unterschiedlicher Lehrausrichtung in Neukölln gibt. Es ist nicht auszuschließen, dass in und durch die Koranschulen die Anhängerschaft orthodoxer Religionsauslegungen, die im Widerspruch zu unserer Gesellschaftsordnung stehen, weiteren Zulauf erhält. Darüber hinaus erteilt die Islamische Föderation als Tochterunternehmen von Millî Görüş in Neukölln in fünf staatlichen Schulen Religionsunterricht. Die alevitische Gemeinde, ein Beispiel für liberales Glaubensleben, ist an zwei Schulen in Neukölln tätig. Ich begrüße das Engagement der Aleviten in Neukölln außerordentlich. Seit vielen Jahren habe ich mit Bedauern registriert, dass sich die alevitische Gemeinde in Neukölln nur zurückhaltend repräsentiert."
Zitat aus: Heinz Buschkowsky, Neukölln ist überall, Ullstein Verlag 2012, Seite 102-103
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