Religiƶse Kompensation eigenen Versagens
- Heinz Buschkowsky und FAGULON
- 23. Dez. 2020
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 9. Apr. 2021

Es ist ein besonders Merkmal fundamentalistischer AusprƤgungen von Religionen, dass sich ihre AnhƤnger als von Gott erwƤhlt und deshalb allen anderen Menschen überlegen fühlen. Auf diese UnglƤubigen kann man entweder mit Mitleid oder Verachtung und Aggression herabblicken. So war es beim Christentum in den vergangenen Jahrhunderten. Einige christliche Glaubensrichtungen (z.B. in den USA) sonnen sich noch heute in der Ćberzeugung ihrer Ćberlegenheit. Auch im fundamentalistischen Judentum ist es nicht anders. Bei beiden bleibt jedoch das Element der Gewalt heutzutage ausgespart. Anders ist das beim fundamentalistischen Islam, der auch die gewalttƤtige BekƤmpfung und Vernichtung der "UnglƤubigen" als gƶttlichen Auftrag rechtfertigt.
Auf diesem Hintergrund ist verstƤndlich, dass sich viele junge MƤnner in den islamischen Ghettos der Religion zuwenden, um ihren Minderwertigkeitskomplex zu kompensieren. Sie haben durchaus Grund dazu, sich gegenüber den meisten Deutschen unterlegen zu fühlen, denn ihr Erfolg in Bildung und Beruf bleibt in der Regel weit hinter dem der meisten Deutschen zurück. Wie immer bestƤtigen Ausnahmen natürlich nur die Regel. So ist es auch verstƤndlich, wenn sich in den islamischen Ghettos die Religion und das Gefühl der Ćberlegenheit der "RechtglƤubigen" als ideale Kompensation für den sonst deprimierenden Alltag vieler Menschen anbietet.
Zitat: "Wer mehrere Hundert johlende Menschen aus zum Teil obskuren Gruppierungen mit Sympathien für Hamas, Hisbollah, Salafiten und MillĆ® GƶrüŠfür das Idealbild der Zukunft Neukƶllns hƤlt, hat ein anderes Weltbild als ich. Mich stoĆen derartige Rituale ab. Wer die toleranzzersetzende Wirkung des Fundamentalismus nicht erkennt oder erkennen will, der wird schon allein dadurch zum Helfershelfer.
Insbesondere auf junge Leute üben orthodoxe Religionsauslegungen eine starke Anziehungskraft aus. Sie helfen vielen Gescheiterten, die sich benachteiligt, diskriminiert und ausgegrenzt fühlen, ihre Perspektivlosigkeit zu kompensieren. An ihrer Situation muss jemand schuld sein. Da sie selbst es aus ihrer Sicht nicht sein kƶnnen, liegt der Fall klar: die deutsche Gesellschaft. Oder im StraĆenjargon: die ScheiĆdeutschen. Für diese Frustrierten stiften die Religion und insbesondere der kompromisslose und fundamentalistische Glaube eine neue IdentitƤt. Das stƤrkt das Bewusstsein und das Selbstwertgefühl. Ich bin anders, ich bin besser, ich lebe ein hƶheres, gottgefƤlligeres Leben als die UnglƤubigen. Natürlich werden diese Gefühle von dogmatischen Religionslehrern oder Imamen geweckt und gestƤrkt.
Ćber Anwerbetechniken, Unterrichtskreise in Privatwohnungen und den Betrieb von Koranschulen ist nicht viel bekannt, wir sind auf Vermutungen und juristisch nicht belastbare Informationen angewiesen. Wir schƤtzen, dass es etwa 1000 KoranschulplƤtze mit unterschiedlicher Lehrausrichtung in Neukƶlln gibt. Es ist nicht auszuschlieĆen, dass in und durch die Koranschulen die AnhƤngerschaft orthodoxer Religionsauslegungen, die im Widerspruch zu unserer Gesellschaftsordnung stehen, weiteren Zulauf erhƤlt. Darüber hinaus erteilt die Islamische Fƶderation als Tochterunternehmen von MillĆ® GƶrüŠin Neukƶlln in fünf staatlichen Schulen Religionsunterricht. Die alevitische Gemeinde, ein Beispiel für liberales Glaubensleben, ist an zwei Schulen in Neukƶlln tƤtig. Ich begrüĆe das Engagement der Aleviten in Neukƶlln auĆerordentlich. Seit vielen Jahren habe ich mit Bedauern registriert, dass sich die alevitische Gemeinde in Neukƶlln nur zurückhaltend reprƤsentiert."
Zitat aus: Heinz Buschkowsky, Neukölln ist überall, Ullstein Verlag 2012, Seite 102-103