Wie in der historisch-kritischen Forschung zum Ursprung des Christentums fördern die gleichen Methoden auch bei der Untersuchung der Quellen des Islam verstörende Ergebnisse zutage. Im weit verbreiteten konservativen Islam ist der Glaube an die unveränderbare Allgemeingültigkeit der Suren des Koran und der Überlieferungen von Handlungen und Aussprüchen von Mohamed tief verwurzelt. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass diese Forschungen nahezu ausschließlich von westlichen Religionshistorikern durchgeführt werden. Islamische Gelehrte haben es schon oft mit dem Leben bezahlt, wenn sie auch nur den Gedanken äußerten, dass man die Glaubensinhalte im historischen Kontext verstehen müsse und sie deshalb heute nur als Metaphern und vielfältig interpretierbare Leitsätze anzusehen wären. Auf diesem Hintergrund ist der Mut des ehemalig gläubigen Muslim Abdel-Samad zu bewundern, der in einem kleinen ägyptischen Dorf in einem streng konservativen Umfeld aufwuchs. Er hat es gewagt, die Fragen zusammenzufassen, die Historiker seit langem stellen und welche die Grundlagen des konservativen Islam in Frage stellen.
Zitat 1
In Deutschland geht die Forschungsgruppe des Inarah-Netzwerks (Karl-Heinz Ohlig, Christoph Luxenberg, Volker Popp und andere) davon aus, dass der Islam ursprünglich eine arabisch-christliche Sekte war, die sich erst nach den arabischen Eroberungen zu einer selbständigen Religion entwickelte. Die arabischen Christen sollen sich mit Byzanz gegen das persische Sassaniden-Reich verbündet haben und seien nach dem Sieg von Byzanz mit einer Autonomie in Syrien belohnt worden. Mohamed, der Koran und die Bezeichnung »Islam« seien rückwirkend erfunden worden, um dem neuen Reich eine Identität zu verleihen. Auch der Islam-Theologe Sven Kalisch äußerte sich zumindest skeptisch zur Existenz Mohameds als historische Person, veröffentlichte aber selbst keine Studien dazu. Der britische Historiker Tom Holland (Im Schatten des Schwertes) und der US-amerikanische Schriftsteller und Religionswissenschaftler Robert Spencer (Did Muhammad exist?) kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Alle diese Forscher eint eine Methode: Sie werfen alle islamischen historiographischen Quellen über Bord und verlassen sich nur auf Münzen und Inschriften aus den ersten beiden Jahrhunderten nach dem Tod Mohameds. Es liegen nur wenige Materialien vor, die oft zweideutige Interpretationen zulassen. Bei ihren Rekonstruktionsversuchen stellten sie fest, dass weder Mohamed noch der Koran, noch das Wort „Islam“ in den ersten sechzig Jahren nach dem Tod Mohameds auf Münzen oder Inschriften jener Gebiete erwähnt wurden, die unter arabischer Herrschaft standen. Die älteste Inschrift, die Mohamed vermeintlich namentlich erwähnt, findet sich wie bereits konstatiert im Felsendom in Jerusalem, zwischen 691 und 693 erbaut vom Umayyaden-Kalif Abd al-Malik. Selbst da meinen die meisten dieser Forscher, dass mit dem Wort „Muhammad“ hier nicht der Prophet des Islam, sondern ein Prädikat von Jesus gemeint war. In der Tat war die Bezeichnung Mohamed bei den arabischen Christen vor dem Islam bekannt. Dies war aber kein Name, sondern ein Titel und bedeutete »der Gepriesene«. Ohlig geht davon aus, dass der Umayyaden-Kalif Abd al-Malik zum Zeitpunkt der Erbauung des Felsendoms noch Christ war und mit „Mohamed“ nicht den Propheten des Islam, sondern Jesus gemeint hat.
In nichtislamischen Dokumenten taucht Mohamed namentlich erst viel später auf. Deshalb nehmen die Skeptiker an, dass der Ilsam, sein Prophet sowie der Korna, wie wir sie heute kennen, nicht im Mekka des 7. Jahrhunderts zu verorten sind, sondern im 8. und 9. Jahrhundert in Damaskus und Bagdad »entstanden«....
Zitat 2
Die islamische Mastererzählung behauptet, erst habe der Islam die Araber geeint, dann sei die Eroberung von Persien und Byzanz erfolgt. Die Gegentheorie geht davon aus, dass erst die Eroberungswelle einsetzte, wodurch die Gebiete Syrien, Irak, Iran und Ägypten unter arabische Herrschaft kamen. Danach hätten die arabischen Herrscher den Islam auf Traditionen des orientalischen Christentums aufgebaut, um all den Menschen, die nun unter ihrer Herrschaft standen, eine gemeinsame Identität zu geben und den neuen Eroberern eine Machtlegitimation zu verleihen. Der nächste Schritt sei dann die Rückkopplung des neuen Reiches an Arabien gewesen, jenes Teils der Welt, der damals von der Weltgeschichte abgeschnitten und somit bestens geeignet gewesen sei, um eine ganze Religion von null auf zu erfinden. Ihrer Auffassung nach habe erst die »Ehe« zwischen dem Imperium der Umayyaden und der neuen Religion den Islam zu dem gemacht, was er heute ist. Nach dieser Lesart hätte der Umayyaden-Kalif Abd al-Malik dabei die entscheidende Rolle gespielt.
So gesehen könnte man Abd al-Malik mit Kaiser Konstantin vergleichen, der im 4. Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches machte und somit die Geschichte sowohl des Reiches und als auch dieser Religion für immer veränderte. Abd al-Malik war ein belesener Mann, diskutierte oft mit Gelehrten und kannte sich in der Geschichte des Römischen Reiches und in der griechischen Philosophie bestens aus. Er hat ohne Zweifel die islamische Geschichtsschreibung geprägt. Es ist nicht auszuschließen, dass er diese auch zu seinen Gunsten manipuliert hat....
Zitat 3
Was das Fehlen von Inschriften und Münzen, die Mohamed einige Jahrzehnte nach seinem Tod erwähnen, angeht, fallen mir folgende Argumente ein. Erstens ist die Abwesenheit von Beweisen für die Existenz von Personen kein Beweis ihrer Nichtexistenz. Zweitens waren die Araber bis der Koran verschriftlicht wurde kein Volk des Schrifttums, sondern der mündlichen Überlieferungstradition. Das lag auch daran, dass die arabische Schrift zur Zeit Mohameds nur 15 Buchstaben kannte, ohne Vokalisierung, ohne Punkte und ohne Grammatik. Erst Jahrzehnte später entwickelte sich Arabisch zu einer Amts- und Literatursprache. Und drittens kamen die militärischen Erfolge der Araber überraschend schnell. Die ersten Jahrzehnte waren dem Krieg und der Niederschlagung von Aufständen gewidmet. Die neuen Eroberer kooperierten mit christlichen Separatisten, die mit Byzanz nicht zurechtkamen. Auch christliche arabische Stämme, die früher für Byzanz oder für die Sassaniden kämpften, wurden Teil der islamischen Allianz gegen die alten, zerfallenen Weltmächte. Ohne diese christlichen Akteure wären die raschen Siege der Araber zu Lande und zu Wasser (etwa bei der Schlacht von Phönix 651) undenkbar.
Es ist also durchaus möglich, dass die Herrscher der Umayyaden nicht sofort von einer neuen Religion namens Islam, sondern von einer Fortsetzung oder Vervollkommnung der Lehre Moses und Jesu sprachen, um ihre christlichen Untertanen zu besänftigen und als Verbündete zu gewinnen. Außerdem liest man in den ersten Chroniken des Islam, dass die Umayyaden früher Erzfeinde von Mohamed und seinem Clan der Hashimiten waren und erst sehr spät zu seinen Anhängern wurden – nämlich erst, als er siegreich wurde. Also scheint nicht seine Lehre, sondern politisches Kalkül der Motor ihres Handelns gewesen zu sein.
Zitat aus:
Mohamed, Ein Abrechnung, Hamed Abdel-Samad, Droemer-Verlag 2015, Seite 36-38 und 42-43
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