"Vergleich der ideologisch korrekten Sprache im Sozialismus mit Worterfindungen der Neo-Stalis
Natürlich ist der - eigentlich als Satire entstandene - Begriff der "politischen Korrektheit" in sich absurd. Politisch korrekt kann überhaupt nichts sein. Politische Entscheidungen sind von vielen rationalen und irrationalen Überlegungen beeinflusst und deshalb niemals korrekt, weil es keine eindeutige Wahrheit, keine einzig beste Lösung gibt, der man sich korrekt anpassen könnte. Richtiger muss es heißen "ideologisch korrekt". Dies bedeutet, dass man sich innerhalb einer Ideologie, die einen religiösen Absolutheitsanspruch hat, korrekt verhält bzw. so denkt, wie es die vorgezeichneten Pfade der Ideologie vorschreiben. Da die Ideologie (genau wie eine Religion) in der Regel genaue Vorgaben macht, was richtig und falsch oder was gut oder böse ist, kann man sich relativ eindeutig korrekt oder eben nicht korrekt verhalten.
Es gibt nun erstaunlich viele Begriffe, die im stalinistischen Sozialismus verwendet wurden und die mit identischer Bedeutung, aber anderen Worten von den Neo-Stalis kopiert werden. Hier einige Beispiele, die das Prinzip illustrieren.
Ein fester Klassenstandpunkt bedeutete im Sozialismus, dass man die Realität bewusst durch den Filter der Ideologie wahrnimmt und die fehlenden Elemente in der eigenen Vorstellung mit den anerzogenen Denkschemata ergänzt. So entsteht ein bewusst vereinfachtes Bild der Realität, welches sozialistischen Propagandisten jedoch berechtigt erscheint, weil man alle Dinge vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus betrachtet. Tatsächlich ist natürlich der Standpunkt der Partei gemeint, die sich als Sprecher und Erzieher der Arbeiterklasse versteht. Im Neo-Stali-Sprech hat das gleiche Verfahren der Kombination eines Wahrnehmungsfilters mit einem Interpretationsschema für die gefilterte Realität einen anderen Namen erhalten. Es ist die richtige Haltung. Damit die Verfälschung der Realität sich jedoch im Begriff nicht allzu deutlich abzeichnet, verkürzt man dies gerne als "Haltung", also z.B. Journalismus mit Haltung, Haltung zeigen beim Eintreten für eine gute Sache, Haltung im Kampf gegen Rechte, Verschwörungstheoretiker, Klima-Leugner etc. pp.
Als feindliche Zusammenrottungen wurden im Sozialismus alle Versammlungen auf der Straße oder in Kirchen bezeichnet, in denen Kritik an der Politik von Partei und Regierung geäußert wurde. Dabei war es völlig egal, ob sich diese Diskussionen oder Demonstrationen im Rahmen der Grundüberzeugung bewegten, dass der Sozialismus eigentlich eine gute Gesellschaftsordnung sei, die jedoch weiterentwickelt werden müsste, um sowohl den ursprünglichen Idealen als auch den Anforderungen der Gegenwart gerecht zu werden. Eine besonders beliebte Form der Diffamierung war auch die ständige Unterstellung, dass es sich bei diesen Zusammenkünften um Menschen handelte, die von westlichen Geheimdiensten ferngesteuert oder verführt wurden.
Im Neo-Stali-Sprech werden Zusammenkünfte, Demonstrationen oder Internetforen von Andersdenkenden wahlweise als Versammlungen von Wutbürgern, Fremdenfeinden oder Rechtsradikalen diffamiert. Dass sich hier - wie damals auch im Sozialismus – oft Gruppen von intellektuell und menschlich gereiften Persönlichkeiten zusammenfinden, die sich aufgrund von Fehlentwicklungen in der Gesellschaft und der Politik Sorgen machen, wird natürlich ignoriert. Durch die Vielzahl der diffamierenden verbalen Farbbeutel kann natürlich die Verunglimpfung von Andersdenkenden viel differenzierter und dem jeweiligen Anlass angepasster vorgenommen werden, als dies im Sozialismus der Fall war. Völlig identisch ist jedoch die z.T. hysterische Ablehnung jeder kleinen Abweichung vom ideologisch korrekten Pfad des Denkens und Handelns. Dementsprechend wird natürlich möglichst weggeschaut, wenn sich linksradikale Chaoten versammeln. Sie übertreiben ja nur ein wenig auf dem richtigen Weg.
Menschen mit abweichenden Meinungen wurden im Sozialismus als Sektierer, Fraktionsbildner, Abweichler, feindlich-negative Elemente oder Agenten des Klassenfeindes bezeichnet. Im Neo-Stali-Sprech tituliert man Abweichler als Wirrköpfe, Alu-Hut Träger, Rassisten, Fremdenfeinde, Klima-Leugner, Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale, Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bzw. Verfassungsfeinde oder natürlich auch als Neo-Nazis. Heute hat sich für jede Art der Abweichung von den ideologisch korrekten Glaubensüberzeugungen ein spezielles Schimpfwort herausgebildet, so dass die Diffamierung den Geruch der unspezifischen Übertreibung verliert. Sie wird dadurch glaubwürdiger und schlagkräftiger.
Eine wichtige Gemeinsamkeit der Sprachregelungen gegen Abweichler von der reinen sozialistischen Ideologie und den Zweiflern an den gegenwärtig modernen "Glaubenswahrheiten" besteht darin, dass man sich auf die pauschale Verteufelung der Andersdenken beschränkt und es vermeidet, sich mit deren Sachargumenten auseinanderzusetzen. Nahezu identisch ist auch das eitle Überlegenheitsgefühl der "Rechtgläubigen" gegenüber den Abweichlern. Diese müssen entweder umerzogen oder durch Zensur oder ggf. Gewalt in die Schranken gewiesen werden. Der heilige Zorn, die gerechte Empörung der "gut Denkenden" ist aus dieser Sicht nicht nur berechtigt, sondern auch notwendig."
Zitat aus: Marionetten, Neo-Stalis und Monsterwellen, Marc DeSargeau, FAGULON-Verlag 2021
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